NACKENHEIM – In einer würdigen Feierstunde vor dem Rathaus und anschließender Verlegung der Stolpersteine gedachte Nackenheim der Opfer des NS-Terrors. Im Mittelpunkt der Erinnerung standen Rosa, Moses und Max Hirschberg, sowie Josef, Amalie und Ruth Feiner und Henriette Klein, geborene Laubinger (Journal LOKAL berichtete hier).
Bürgermeister von Nackenheim René Adler (FWG) erinnerte an die Schicksale der jüdischen Familien Nackenheims und bedankte sich bei allen, die gegenwärtig die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus lebendig erhalten. Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegte im Beisein von Adler und des Bürgermeisters der Verbandsgemeinde Bodenheim, Robert Scheurer (CDU), sowie zahlreicher Gäste sieben neue Stolpersteine: sechs im Gehweg vor der Mainzer Straße 6, einen vor dem Haus Nummer 17 in der Weinbergstraße.
Die Steine in der Mainzer Straße erinnern an das Schicksal der Familie Feiner, deren Mitglieder 1942 von Darmstadt aus ins polnische Piaski deportiert und dort ermordet wurden, und an die Familie Hirschberg. Die Hirschbergs flüchteten nacheinander ab 1937 nach Amerika, ihre Flucht ist im Stadtarchiv Mainz dokumentiert. Max Hirschberg besuchte Nackenheim nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal, diesmal als US-Soldat. Er starb 1946 in New York. Der Gedenkstein vor Haus Nummer 17 in der Weinbergstraße erinnert an Henriette Klein, die im April 1944 mit einem Großteil ihrer Familie und ihrer fünf Kinder nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.
Umrahmt wurde die Zeremonie durch das Akkordeonspiel von Almut Schwab, Musikerin und Dozentin an der Mainzer Musikhochschule, die die alte Klezmer-Musikkultur unter anderem durch Mitwirkung in der Frauenmusikgruppe „Klezmers Techter“ lebendig erhält. Mitglieder der Katholischen Jugend Nackenheim trugen die biografischen Texte vor.
In den Jahren 2020/2021 beschäftigte sich die damalige 11. Jahrgangsstufe des Nackenheimer Gymnasiums mit der auch für Nackenheim unrühmlichen Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Und in kurzer Zeit bildete sich aus diesem Projekt der von der Gemeinde geförderte „Arbeitskreis Stolpersteine“, der nun zum zweiten Mal als Initiator für die Verlegung der Messingsteine zeichnete. Die Aktion wurde vom Gemeinderat beschlossen und wird über Spenden finanziert.
Der „Arbeitskreis Stolpersteine“ trifft sich inzwischen regelmäßig unter Leitung von Katharina Buchholz, Lehrerin am Gymnasium Nackenheim, die das Projekt seinerzeit mit der 11. Und 12. Jahrgangsstufe realisierte. Buchholz berichtete, dass es den Schülern ein Anliegen war, die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte vor Ort öffentlich zugänglich zu machen und so das Fundament für eine aktive Erinnerungskultur in Nackenheim zu schaffen. „Wir zeigen Quellen und Kontexte auf. Wir haben Fragen gestellt, neue Blickwinkel eröffnet und möchten auch weiterhin zum kritischen Weiterdenken anregen.“ Mit dabei: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Historiker, Studierende und andere Interessierte aus der Bürgerschaft.
Welche unvorstellbaren und menschenverachtenden Begründungen die Nationalsozialisten für ihr Tun ins Feld führten, ist auf der Website des Arbeitskreises nachzulesen. Das Projekt verbindet generationsübergreifend eine partizipative und multimediale Erinnerungsarbeit vor Ort. Das Projekt und der Arbeitskreis wurden im November 2022 beim „Ideenwettbewerb 4.0 – Digitalisierung im Ehrenamt“ der damaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer prämiert.
Zum Hintergrund: Stolpersteine sind kleine, mit Messingplatten bedeckte Gedenksteine, die in die Gehwege vor den letzten selbstgewählten Wohnorten der Opfer des Nationalsozialismus eingefügt werden. Jeder Stein trägt Namen, Geburtsdatum sowie das Datum der Deportation oder Ermordung der betroffenen Person. Mit diesen auffälligen Hinweisen soll die Erinnerung an die Opfer lebendig erhalten werden und die Bürger und Passanten dazu anregen, über die Geschichte und die Verbrechen des Nationalsozialismus, auch in ihrer nächsten Umgebung, nachzudenken.
Künstler Gunter Demnig sieht die Stolpersteine als eine Form der Gedenkkultur, die es den Menschen ermöglicht, sich aktiv mit der Geschichte ihres Ortes auseinanderzusetzen. Das von Künstlern initiierte „Stolperstein-Projekt“ hat zum Ziel, die Bevölkerung an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Seit vielen Jahren hat es einen festen Platz in vielen Städten und Gemeinden. Das Projekt ist das größte dezentrale Denkmal weltweit, in mehr als 20 europäischen Ländern liegen bereits mehr als 90.000 Stolpersteine.