Wenn die Geschichte mehr als ein halbes Jahrtausend lang an einem paradoxen Satz schreibt, dann geht Wichtiges vor sich. Denn Paradoxa verbergen höhere Wahrheiten, sagt die Philosophie. Und wenn die Geschichte sich ganze 550 Jahre Zeit lässt, ein einfaches Paradoxon für uns Mainzerinnen und Mainzer zu schreiben, dann sind es schon die ganz großen historischen Bögen, die im Jahr 2018 auf unsere Gegenwart treffen – und auf die Zukunft. Sie haben es längst erraten: In diesem Jahr kann ein solches historisches Mainzer Paradoxon nur mit Gutenberg zu tun haben und es lautet ganz schlicht: So lebendig wie im Jahr seines 550. Todestages war Johannes Gutenberg lange nicht mehr in unserer Stadtgesellschaft.
2018 gilt: Überall Gutenberg! Er sitzt an jedem Küchentisch, wenn Weck, Worscht und – am Abend auch – Woi aufgefahren werden, er fährt mit in der Mainzelbahn, setzt sich in den Weinstuben zu jeder gemütlichen und auch hitzigen Runde dazu, spaziert mit uns über den Liebfrauenplatz (was er auch die kommenden 550 Jahre tun können wird – egal wie das Jahr 2018 weitergeht) und liest morgens mit Ihnen die Zeitung, die wir erst seiner Erfindung verdanken. Ja, im Jahr 2018 ist Johannes Gutenberg, der Mann des Millenniums, der Mainzer Beitrag zur Weltgeschichte, der Gründervater der Wissensgesellschaft, in seiner Heimatstadt überall.
Im Jahr seines 550. Todestages ist Johannes Gutenberg wieder Stadtgespräch, sein Museum, und die Frage nach dessen Zukunft, Gegenstand des ersten Bürgerentscheids der Stadtgeschichte. Es ist ein großer historischer Bogen, der sich schließt vom Todestag des größten Sohnes unserer Stadt bis zum ersten Bürgerentscheid in der Mainzer Geschichte, der 550 Jahre später der Frage nachgeht, wie wir sein Vermächtnis präsentieren wollen. Und unabhängig davon, wie der Bürgerentscheid über das architektonische Herz der Gutenbergstadt am 15. April dieses Jahres ausgeht, können wir sagen: Gutenberg hat seinen Platz im Herzen unserer Stadt zurück, weil er dort wieder überall lebendig ist, weil sein Vermächtnis wieder so präsent ist wie lange nicht und weil es in allen Zeitungen, an allen Küchentischen und auf allen Straßen wieder heiß diskutiert wird – auch wenn ich mir in der einen oder anderen Diskussion etwas weniger Hitzigkeit wünschen würde.
Dass Gutenberg, sein Erbe und die Frage nach dessen Präsentation im Gutenbergjahr 2018 wieder so lebendig sind, ist für alle Mainzerinnen und Mainzer die gute Nachricht dieses Jahres und dieses Bürgerentscheids – ganz gleich, ob sie für oder gegen den „Bibelturm“ sind. Und unabhängig davon, wie der Bürgerentscheid ausgeht, sind wir, wenn er vorüber ist, alle umso mehr in der Pflicht, diese Lebendigkeit Johannes Gutenbergs und seines Vermächtnisses in unserer Stadt zu bewahren. Denn in einem sind wir alle uns einig: in unserer Wertschätzung für das Gutenbergmuseum und in dem Bewusstsein, dass wir dieses Gutenbergmuseum nur mithilfe bürgerschaftlichen Engagements zu einem Museum der Zukunft machen können.
Hier trifft der zweite historische Bogen auf unsere Gegenwart: Denn das Gutenbergmuseum war seit seiner Gründung immer ein Bürgermuseum. Es waren schließlich Bürgerinnen und Bürger, die sich anlässlich der Feier des 500. Geburtstags von Johannes Gutenberg im Jahr 1900 sowohl für die Gründung der Gutenberg-Gesellschaft als auch für die Einrichtung eines Museums zu seinen Ehren entschieden. Und es sind Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Engagement den Weg bereitet haben, nun in die Zukunft des Museums aufzubrechen.
Sie wissen, ich persönlich wünsche mir, dass der Bürgerentscheid für den Bibelturm ausgeht, weil wir ein Weltmuseum in Mainz haben, weil dieses Museum ein sichtbares Zeichen des Aufbruchs braucht und weil sich für diesen Aufbruch viele Bürgerinnen und Bürger jahrelang engagiert haben.
Aber noch mehr wünsche ich mir, dass – wie auch immer der Entscheid am 15. April ausgeht – Gutenberg so lebendig bleibt in unserer Stadt, wie er es in diesem Jahr ist, und dass wir alle gemeinsam uns ab dem 16. April mit gleicher und noch größerer Kraft für eine gute Zukunft des Gutenbergmuseums einsetzen. Ich lade Sie ein, stimmen Sie ab und engagieren Sie sich – egal wie es am 15. April ausgeht – weiterhin für unser Weltmuseum! Für beides gilt Ihnen mein herzlicher Dank.
Ihr
Michael Ebling