NIERSTEIN – Zu einer beeindruckenden Geschichtsstunde entwickelte sich die Veranstaltung von Geschichtsverein und Stadt Nierstein im Stadtpark, bei der am 20. September 2020 an 30 Jahre Deutsche Einheit und 30 Jahre Partnerschaft mit Freyburg an der Unstrut erinnert wurde. Mit dabei waren die Zeitzeugen Martin Bertling (Bürgerrechtler, erster Bürgermeister Freyburgs nach der Wende), die aus der DDR als Bürgerrechtlerin zwangsausgewiesene Hanne Schneider wie auch Renate Müller Stapf, die als Mutter eines „Republikflüchtlings“ in ihrer Tätigkeit als Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde gebrandmarkt wurde. Sie alle bezeugten, wie der Unrechtsstaat der DDR in ihr Leben eingriff, ihnen die Freiheit nahm, sie gängelte und verfolgte. Anfangs nicht angstfrei, dann mit immer mehr Mut habe man aus der DDR eine Demokratie formen wollen. Was sich dann innerhalb von 11 Monaten 1989/90 entwickelte, fasste Martin Bertling zusammen: „Die deutsche Einheit war das größte Glück unseres Lebens.“ Bertling warnte vor wachsendem Rechtsradikalismus, vor Hetze, Hassreden und Gewalttaten von Menschen, die „nichts aus der Geschichte gelernt haben.“ Eine faszinierende, von Thomas Ehlke geleitete Gesprächsrunde, der auch die Niersteiner Weinkönigin Gina Gehring („Habe heute mehr gelernt als im Geschichtsunterricht“) und die Freyburger Weinkönigin Antonia Odenthal angehörten, folgte. Sie präsentierten im gelungenen Zusammenspiel Weine der beiden Partnerstädte. Geschichtsvereinsvorsitzender Hans-Peter Hexemer und Stadtbürgermeister Jochen Schmitt unterstrichen die Bedeutung der Partnerschaft und hoben den Wert der Demokratie hervor, die nur lebendig bleibe, wenn viele mitmachten: „Es liegt an uns, an jedem Einzelnen“.
Hexemer und Schmitt dankten auch den Gründungsvätern und -müttern der Partnerschaft. Von den damaligen Stadträten waren aus Freyburg Reinhard Busch und Detlef Förste, aus Nierstein Helmut Reichert, Elfriede und Hans-Peter Hexemer dabei. Erinnert wurde auch an den damaligen Bürgermeister von Nierstein, Wolfgang Engel, den Beigeordneten Herrmann Reis und den langjährigen Partnerschaftsbeauftragten Uwe Stapf. Auch Udo Männicke, Freyburgs Bürgermeister machte deutlich, dass Demokratie und Partnerschaft gelebt werden müssen. Beide Bürgermeister entwickelten Ideen für die Zukunft der Partnerschaft, zu denen auch Schulkontakte und Zeitzeugengespräche gehören sollen. So lebendig und frisch wie die Partner präsentierte sich ein am 3. Oktober 1990 von Freyburgern und Niersteiner gelesener Riesling vom Kranzberg aus dem Weingut Helmut Reichert. Martin Bertling überreichte Hans-Peter Hexemer und Jochen Schmitt eine von ihm zusammengestellte und von seiner Frau Dorothea gestaltete großformatige Chronik des Beginns der Partnerschaft. Mit Liedern aus der Wendezeit wie „Freiheit“ und „Wind of Change“ sorgten Ulli Becker und Fritz Vollrath für musikalische Akzente, bevor die Veranstaltung mit der Nationalhymne beendet wurde.
Aud Hoßbach-Appelmann