Gegen das Vergessen: Aus Nachbarn wurden Opfer und Täter

Gonsenheim – 1945 endeten mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft auch die unmenschlichen Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Europas. Doch erst lange danach machten politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Terrors und des Völkermordes an den Juden in ihrer ganzen Dimension möglich.

Das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. hat auf Initiative des Heimat- und Geschichtsvereins Gonsenheim unter Gesamtleitung von Dr. Kai-Michael Sprenger die bislang wenig erforschten Lebensgeschichten der Gonsenheimer Jüdinnen und Juden nun in einem eigenen Ausstellungsprojekt erarbeitet. In der VR-Bank, Filiale der Volksbank Alzey-Worms, eröffnete Vorstandsmitglied Tobias Schmitz die Ausstellung mit den Ergebnissen der Forschungsarbeit. Halb Gonsenheim war gekommen. „Wir wollen die Erinnerung an die, die gedemütigt, verschleppt und ermordet wurden, aufrechterhalten.“ Mit diesem Anliegen sah sich die Bank in der Pflicht.

Zahlreiche Zeitzeugeninterviews wurden geführt, die ein sehr detailreiches, aber auch emotionales Bild der Zeit abbilden. In Kooperation mit dem Geschichtsverein, dem Ortsbeirat, der Förderung privater Personen und Unternehmen wie der VR-Bank Mainz, war es nun möglich, dieses Kapitel der Gonsenheimer Geschichte der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die Ausstellung mit den Geschichten jüdischer Familien in Gonsenheim in Wort und Bild ist ergänzt durch zahlreiche Zeitzeugeninterviews im Film. Foto: Helene Braun

Bürgermeister Günter Beck, selbst bekennender Gonsenheimer, sagte: „Ich bin dankbar für diesen historischen Augenblick, der einige Jahrzehnte zurückreicht, als Gonsenheim noch selbständige Gemeinde war. Es ist aber auch erschreckend zugleich zu sehen, wie aus guter Nachbarschaft offene Feindschaft und wie Nachbarn zu Opfern und Tätern werden konnten.“ In Gonsenheim, das 1938 als bis dahin selbständige Gemeinde durch die Nationalsozialisten nach Mainz eingemeindet wurde, lebten ebenfalls mehrere jüdische Familien. Die individuellen Geschichten ihrer Demütigungen, ihrer Deportation und ihrer Ermordung waren bislang noch nicht Gegenstand einer differenzierten und gründlichen historischen Aufarbeitung geworden.

Das Vergessen ist das Schlimmste, ein Satz, den man in vielen Zusammenhängen kennt, wurde für Dr. Sprenger und seine Mitarbeiter, die Kuratoren Lisa Groh-Trautmann, Christoph Schmieder und Jasmin Gröninger Antrieb für ihre Nachforschungen, auf deren Grundlage sich nunmehr diese Schicksale der Gonsenheimer Jüdinnen und Juden in jenen Jahren sehr viel besser nachvollziehen las-sen.

Die Ausstellung kann während der allgemeinen Öffnungszeiten der Bank bis zum 8. September in den Räumen der VR-Bank Mainz besichtigt werden. Im Anschluss kann man sie im Stadtteiltreff sehen.