
BODENHEIM – Ein Bürgermeister in seinem ersten Amtsjahr, alte Beschlüsse und ein Gemeinderat, der sich spürbar schwer tut mit dem politischen Erbe seiner Vorgänger: In der jüngsten Sitzung des Bodenheimer Gemeinderats wurde deutlich, dass das Gremium auch nach einem knappen Jahr im Amt noch mit den Nachwirkungen der letzten Legislaturperiode beschäftigt ist. Die politische Zusammensetzung hatte sich nach der Kommunalwahl im Juni 2024 grundlegend verändert – mit Konsequenzen, die immer noch deutlich spürbar sind.
Zu Beginn der Sitzung bat Ortsbürgermeister Jens Mutzke (SPD) um eine Schweigeminute für den kürzlich verstorbenen Horst Kasper, der über viele Jahre als Ortsbürgermeister Bodenheim geprägt hatte. Mutzke würdigte dessen besondere Verdienste, insbesondere um die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte im Ort, und seine Initiative, Stolpersteine gegen das Vergessen zu legen.
In der Sitzung selbst war dann ein Diskussionsschwerpunkt das Parkchaos – ein Dauerbrenner mit Symbolkraft: das Parken im alten Ortskern – oder besser gesagt, der Streit darüber. Konkret ging es um drei Parkflächen in der Zwerchgasse (mehrheitlich abgelehnt) und an der sogenannten „Eselsrutsch“ (mehrheitlich befürwortet, obwohl oder vielleicht: weil sie offenbar versehentlich bereits markiert worden waren).

Foto: Sabine Longerich
CDU-Ratsmitglied Jonathan Maskos brachte seine Frustration mit Blick auf die Gestaltung des Ortskernsauf den Punkt: „Die Rostkübel auf dem psychedelischen Straßenbelag sorgen nicht für eine beruhigte Verkehrsführung, parkende PKW dagegen schon.“ Die SPD widersprach geeint: Parkende Fahrzeuge gefährdeten schwächere Verkehrsteilnehmer und seien kein geeignetes Mittel zur Verkehrsberuhigung. Das Meinungsbild blieb gespalten – was bleibt, ist ein ungeklärtes Verkehrskonzept mit hohem Symbolwert.
Dazu passten verschiedene Anträge aus den Fraktionen: Die CDU forderte eine Verkehrsschau bezüglich der Verkehrssituation im alten Ortskern, die FWG wollte im Blick auf die Handwerker und Lieferanten die Parkplätze auf der Zwerchgasse, die Grünen beantragten aus Sicherheitsgründen mehr Tempo 30, unter anderem von der Seurre-Allee bis zur Langen Ruthe, sowie auf der Laubenheimer beziehungsweise Wormser Straße. Jene liegt allerdings als Landesstraße in der Verantwortung des Landesbetriebs Mobilität (LBM).
Ein weiteres heißes Eisen war der geplante barrierefreie Ausbau zweier Bushaltestellen an der Gaustraße. Das Projekt war vom alten Gemeinderat auf den Weg gebracht worden. Die Förderzusage über 205.700 Euro für ein Gesamtvolumen von rund 312.000 Euro kam vor kurzem vom LMB. Doch der Gemeinderat zog nun die Reißleine: Die baulichen Bedingungen auf der steilen Gaustraße seien ungeeignet, die Zuwege nicht barrierefrei und die nächste Haltestelle ohnehin nur wenige hundert Meter entfernt. Die Ausschuss- und Ratsmitglieder wunderten sich unisono, dass weder das Planungsbüro noch die Verwaltung und auch nicht die beteiligten Förderstellen die Unmöglichkeit dieser Baumaßnahme bemerkt hätten.
Die Kehrseite: Planungskosten in Höhe von 52.000 Euro sind damit verloren – ein schmerzlicher Posten in Zeiten knapper Kassen. Der Haushalt der Gemeinde hätte über 100.000 Euro Eigenanteil stemmen müssen – Geld, das anderweitig gebraucht wird. Dass es an anderer, zugänglicherer Stelle, auch günstiger geht, zeigt das Beispiel der gerade fertiggestellten barrierefreien Haltestelle an der Langen Ruthe: Sie konnte für rund 6.350 Euro übernommen werden – von der Nachbargemeinde Nackenheim.

Foto: Sabine Longerich
Ernüchternd verlief dann die Diskussion um die Kita Schatzkiste, auf deren Dach sich seit 2023 eine Photovoltaikanlage befindet – „doch sie ist bis heute nicht nutzbar, da sie nicht ans Netz angeschlossen wurde“, wie Michael Leber (FWG) etwas ratlos anmerkte und dafür die Begründung forderte.
Bau-Beigeordneter Martin Acker (CDU) konnte nur mutmaßen: „Offenbar hat die Vorgänger-Regierung schlichtweg vergessen, den Anschluss zu beauftragen.“ Laut Acker seien aber alle anderen PV-Anlagen im Ort regulär am Netz, das habe er umgehend geprüft. Die FWG forderte Aufklärung: Wie viel potenzieller Ertrag ist der Gemeinde in den letzten zwei Jahren entgangen? Acker kündigte eine Antwort zur nächsten Sitzung an.
Die Sitzung machte deutlich, dass die Bruchlinien im Gemeinderat nicht allein entlang parteipolitischer Zugehörigkeit verlaufen, sondern oft entlang der Linie „Altbeschluss versus neue Realität“. Bürgermeister Mutzke muss sich nicht nur mit komplexen Sachfragen, sondern auch mit einem Gemeinderat auseinandersetzen, der augenscheinlich noch zwischen Verantwortung und Abgrenzung laviert. Für Bodenheim bleibt die spannende Frage: Wie lange muss die Vergangenheit noch verwaltet werden, bevor ein klarer Neuanfang gelingt?