Start Familie „Das Bundesteilhabegesetz ist ein Kostendämpfungsgesetz“

„Das Bundesteilhabegesetz ist ein Kostendämpfungsgesetz“

Bretzenheim/Hechtsheim/Nieder-Olm – Seine geistig behinderte Tochter, die heute in einer Lebenshilfe-Wohnstätte in Nieder-Olm lebt, hat Michael Hartwig immer so unterstützt, „wie sie es braucht“, er habe sie aber nicht in einen Schonraum getan, erzählt der Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Mainz-Bingen. Für sie hat er auch Sonderpädagogik studiert. Mit dem Wissen, was behinderte Menschen brauchen oder auch nicht, agiert er seit 2011 in dieser Position. Erst am Ende des Gesprächs erfuhr die Lokale Zeitung, dass der Senior Referent im Rechnungswesen einer Großbank dies im Ehrenamt tut.

Er sagt: „Die Bedeutung der Lebenshilfe Mainz-Bingen, einer von 400 Vereinen, sehe ich darin, dass es kaum eine Behindertenhilfeeinrichtung gibt, die die Belange speziell von geistig Behinderten so unterstützt wie sie.“ Ansonsten gebe es kaum eine Lobby für diese Menschen. Dabei hätten sie ein breites Spektrum an Leistungsfähigkeit. Aber auch Hartwig und die Lebenshilfe sind an Gesetze gebunden.
Hartwig erläutert: „Wir erleben einen großen Umbruch durch das Bundesteilhabegesetz, das in Wahrheit ein Kostendämpfungsgesetz ist. Die Strukturen werden sich ändern.“ Bisher erstellte der jeweilige Einrichtungsträger sogenannte Teilhabepläne für die einzelnen Klienten. Das taten Menschen, die die zu Betreuenden täglich sehen. Nun werde diese Aufgabe auf die Sozialämter, sprich Kostenträger, verlagert, deren Mitarbeiter dafür gar nicht ausgebildet seien. Was bedeute: „Die Rolle der Einrichtungen wird sich vom Kopf auf die Füße stellen.“

Das Weitere sei die betriebswirtschaftliche Seite. „Die Herausforderung der nächsten Jahre ist, ein System zu finden, wie wir aus dieser Struktur nachvollziehbare kostendeckende Mieten errechnen können.“ Eine große Aufgabe, denn es gibt verschiedene Einrichtungen wie das Wohnen mit ambulanter Betreuung in Bretzenheim oder das stationäre Wohnen wie im Grete-Kersten-Haus in Hechtsheim, wo jeder Bewohner Mieter ist. Nun sieht Hartwig als nächste als Hauptaufgabe, diese Veränderung zu strukturieren und einzelne Handlungsfelder zu definieren unter Einbeziehung sämtlicher Mitarbeiter. Mitgenommen werden müssten aber auch die Angehörigen.
Was Michael Hartwig bei diesen Sorgen aber begeistert, ist die Arbeit der Lebenshilfe Stiftung. „Dadurch sind wir in der Lage, behinderten Menschen oder einer Einrichtung direkt zu helfen. Ein Beispiel: Ein junger Mann, der nicht sprechen kann, hat jetzt durch die Stiftung ein I-Pad und nützt die Sprachunterstützungsfunktion, um sich mitzuteilen. Jetzt kann er auch einkaufen gehen. Ein anderer, der nicht rechnen kann und sehr darunter leidet, hilft sich mit einer App auf einem Tablet. Hartwig: „Da sieht man direkt vor sich, was man mit ein bisschen Engagement bewirken kann.“ Die Digitalisierung der Wohnstätten ist daher ein weiteres großes Vorhaben. Das wird Geld kosten, gehöre aber einfach dazu, ist Hartwig überzeugt. Für die Nieder-Olmer Wohnstätte wird es 10.000 Euro brauchen, für weitere über die Jahre 50.000 Euro, die nicht im Budget der Lebenshilfe vorhanden sind.

Indes macht das 1984 eröffnete Grete-Kersten-Haus in Hechtsheim Sorgen und Hartwig weiß noch nicht, ob es wirklich sanierungsfähig ist. „Wahrscheinlich müssen wir neu bauen, wir bräuchten zwei Einheiten à 24 Plätze. Bedarf habe man auch für die Großberg-Bewohner. Sie könnten ebenfalls in den Neubau ziehen. „Das ist das Wunschbild.“