Start Mainz Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit

MAINZ – Hoher Besuch in Mainz: Zum Abschluss der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2018 sprach jetzt der frühere Bundespräsident Dr. Joachim Gauck vor rund 800 Zuhörern im voll besetzten Hörsaal RW1 über das politische Denken, die politische Ideengeschichte und die Herausforderungen unserer Gegenwart. Sein Credo: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und sollte von uns gehegt und gepflegt werden.

Joachim Gauck ging zunächst auf seine Kindheit in der DDR ein. Er fühlte sich damals als „Mitglied einer durchherrschten Gesellschaft“, das sozialistische Modell wurde in Ostdeutschland nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Nazidiktatur als das erlösende Gesellschaftsmodell angesehen. Aufgrund der Macht des Staates hätten sich die Menschen in der DDR an die eigene „Ohnmacht als Normalzustand“ gewöhnt, an die „Neigung zum Gehorsam als Anpassung“. Nach den gescheiterten Aufständen gegen den Sozialismus in Ungarn 1956 und in Prag 1968 kam es dann 1989 zur „Dämmerung der ideologischen Systeme“. Das Wunderwort in den Montagsdemos in der DDR lautete damals „Wir sind das Volk“. Gauck: „Das ist das schönste Wort der deutschen Demokratiegeschichte.“ Die Ostdeutschen verabschiedeten sich aus dem „Muster aus Angst und Anpassung“. Gauck: „Befreiung ist noch schöner als Freiheit.“ Allerdings gab es danach neue innerdeutsche Probleme, denn die Ostdeutschen hatten Selbstverantwortung und eigenständiges Denken nie gelernt. Das habe zur westdeutschen Überzeugung geführt: „Die Ossis sind ein bisschen bekloppt!“

Abschließend ging Gauck auf die Gegenwart ein. „Demokratie ist nicht selbstverständlich“, warnte er. „Nichts ist selbstverständlich, wir können alles verlieren.“ Gauck versteht das als Warnung an die liberale demokratische Mitte, der oft die Visionen fehlten. Der frühere Bundespräsident sprach sich für eine „Freude an der Demokratie und ein Ja zu Europa“ aus. Gauck: „Freiheit für Erwachsene heißt Verantwortung.“

Vor dem Vortrag war Prof. Herfried Münkler kurz auf die Biografie von Joachim Gauck eingegangen. Dieser war 22 Jahre lang Pfarrer in der DDR, dann Leiter der gleichnamigen Stasi-Unterlagen-Behörde und Schriftsteller sowie schließlich von 2012 bis 2017 deutscher Bundespräsident. Gauck selbst sieht sich als „reisender Demokratielehrer“. Auf Einladung von Uni-Präsident Prof. Georg Krausch trug sich Gauck anschließend ins Goldene Buch der Universität ein. Es war der vierte Besuch eines ehemaligen oder aktuellen Bundespräsidenten an der Mainzer Uni nach Horst Köhler 2008, Christian Wulff 2010 und Frank-Walter Steinmeier 2018.

Vorheriger ArtikelZum Teil akribische Kleinarbeit
Nächster ArtikelBlutspende-Marathon 2018: wo bleiben die Freiwilligen?
Avatar-Foto
Ich bin gebürtiger Mainzer, Jahrgang 1967, und seit mehr als 20 Jahren hauptberuflich journalistisch in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport tätig. Für Journal LOKAL - die lokale Zeitung berichte ich seit 2014 aus Bretzenheim, Hechtsheim, Lerchenberg, HaMü, AKK und der Oberstadt sowie aus Finthen und Gonsenheim. In meiner Freizeit fahre ich gerne Fahrrad. Weitere Hobbies sind Tennis, Fußball und Aquaristik.